Zwischen Realismus und Freiheit: Leidenschaft auf der Leinwand
| Künstler Sylvio Justies | |
| Sylvio Justies | |
| E-Mail: | sylvio.justies@gmail.com |







Farben der Nacht

Stand: Oktober 2025
Der Tag gehört anderen, die Nacht ihm. Wenn alle schlafen, arbeitet ein Künstler aus Hohen Neuendorf in seinem Atelier. Farben spritzen, Tropfen landen auf der Leinwand, es entstehen Formen.
Sylvio Justies ist ein Autodidakt, der sich das Malen mit beeindruckender Konsequenz und Hingabe selbst beigebracht hat.
Was ihn auszeichnet, ist mehr als nur Technik. Mit einer Menge Feingefühl, besonderer Sensibilität und einem ungewöhnlichen Talent für Komposition folgt er seiner Intuition.
Faible für Porträts
Seine große Leidenschaft sind Porträts, die er realistisch und detailgetreu anfertigt. Dabei gelingt es ihm meisterhaft,
seine Motive lebensecht einzufangen und ihre Persönlichkeit sichtbar werden zu lassen.
Augen, Linien und Ausstrahlung wirken lebendig und nah. Doch seine Bilder beschränken sich nicht nur auf diese Präzision. Durch seinen individuellen Stil setzt er unverwechselbare Akzente. Sylvio Justies nutzt intensive Farben als Kontrast.
Er „verziert“ seine Porträts mit kräftigen Spritzern, Schichten und Strukturen, die das Realistische aufbrechen und den
Bildern Dynamik verleihen. Auf diese Weise erzeugt er eine Spannung zwischen Detail und Freiheit, zwischen Figur und abstrakter Farbe.
„Ich will nicht, dass alles zu glatt wird. Das Chaos bringt Leben in die Bilder“, meint er.
Kreativität von Kindheit an
Sylvio Justies ist heute 39 Jahre alt und hat schon immer einen Stift in der Hand, seit er denken kann. Bereits als Schüler war er im Unterricht unentwegt am Zeichnen. An den Rändern seiner Hefte entstanden Gesichter, Figuren und Muster. Nicht aus Langeweile, sondern, weil er nicht anders konnte, ein
innerer Drang, der ihn seither begleitet.
Impuls von „Werner“
Der entscheidende Moment, sich ganz der Kunst zu widmen, kam früh. An der Wand seiner Grundschule hing ein Bild aus einem Film zur Comicreihe „Werner“. Das wilde, überzeichnete Motiv voller Bewegung zog ihn in seinen Bann. Plötzlich war der Wunsch da, selbst künstlerisch tätig zu werden. Er wollte jedoch nicht kopieren, sondern seine eigene „Sprache“ finden.
In der Realschule in Bergfelde zeigte er sein Können zum
ersten Mal im Großformat, als er einen Hund im Comic-Stil auf eine Wand malte. Während seiner Ausbildung auf der
Hotelfachschule erstellte er ein Porträt von Albert Einstein,
inspiriert von dem berühmten Foto, auf dem der Physiker die Zunge herausstreckt. Sylvio Justies setzte es als Schwarz-Weiß-Gemälde um, wobei er der Zunge eine auffällige rote Farbe gab.
Später erfüllte er den Wunsch seiner Eltern und gestaltete ein großformatiges Bild mit der Skyline von New York für ihren Flur. Damals war das noch eher ein Hobby und fand meist im privaten Rahmen statt.
Zivildienst als Auslöser
Der Wendepunkt kam während seines Zivildienstes im hiesigen Kindergarten „Pusteblume“. Dort lag im Garten eine große Betonröhre, gedacht als Spieltunnel für die Kinder. Sylvio Justies sah darin mehr als nur Beton. Spontan bemalte er die Röhre, ohne Skizze, aber mit voller Hingabe. Auf der einen Seite entstand eine bunte Wiese mit Blumen und einem farbenfrohen Schmetterling, die
andere Seite zierte eine Flusslandschaft mit umgekipptem Baum und dem dazugehörigen „Täter“, einem Biber. Das leuchtende Bild zog viel Aufmerksamkeit auf sich, mehrere regionale Zeitungen berichteten darüber. Kurz darauf stellte
er ein Foto davon ins Internet.
Sofort kam die erste Anfrage
einer jungen Dame, die von ihm ein handgemaltes Bild wollte. „In diesem Moment wurde aus einer Leidenschaft eine echte Richtung“, erinnert er sich.
Abstrakter Realismus
Heute malt er meistens nachts, wenn alles still ist. Manchmal hört er dazu Musik, handelt es sich gerade um das Gemälde eines Musikers, dann meist dessen Songs. Dann ist er ganz bei sich und komplett auf die Malerei fokussiert.
Sylvio Justies gestaltet vorwiegend großformatige Bilder auf Leinwand und arbeitet mit Acryl, Ölpastell und Sprühfarbe. Er greift auf ungewöhnliche Werkzeuge wie Spachtel, Rakel und sogar einen Tortenheber zurück. Der Pinsel spielt nicht selten nur eine Nebenrolle. Für ihn ist es entscheidend, dem Bild „zuzuhören“, während es entsteht.
Farbflächen treffen auf Linien, Strukturen werden gelegt und wieder übermalt. Er nennt seinen Stil „Abstrakter Realismus“, ein Begriff, der Gegensätze vereint, so wie seine Bilder selbst.
Ausgesprochen gerne widmet er sich Porträts, wobei er oft Persönlichkeiten wie Angelina Jolie oder Kurt Cobain auf die Leinwand bannt.
„Ich erstelle Porträts, die das zeigen, was ich sehe. Bei der Farbgebung ist es dann genau andersrum. Da kommt auf
die Leinwand, was ich spüre“,
erklärt er.
Wachsende Anerkennung
In den letzten Jahren sind mehr als hundert Werke entstanden, kein Bild gleicht dem anderen. Viele seiner Arbeiten sind in Berlin in Arztpraxen, Schönheitssalons und Galerien zu sehen. Andere wurden nach Frankreich, Italien, Portugal, in die Schweiz und nach
Ungarn verkauft. In letzteres ging Jimi Hendrix, eines seiner wenigen Ölbilder.
Seine Werke waren bisher
unter anderem in der „Kunstgalerie Berlin Achtzig“, in
der „Watapana Tattoo & Art Gallery“ und auf der „Tattoo Convention Berlin“ zu sehen. Äußerst eindrucksvoll war
für ihn die Ausstellung im „Bunker West“ in Berlin, ein Ort geprägt von Beton,
Geschichte und Dunkelheit. Zwischen den alten Wänden strahlten seine Bilder und bildeten einen starken Kontrast zur Schwere der Räume. „Das war ein heftiger Eindruck,
genau der Kontrast, den ich brauchte“, resümiert er.
Realismus und Freiheit
Inmitten von Farben, Leinwänden und dem Geruch von Acryl lebt Sylvio Justies ein Leben, das ebenso facettenreich ist wie seine Kunst. Sein Atelier befindet sich in einem kleinen, hellen Gebäude auf seinem Grundstück in Hohen Neuendorf, ein stiller Rückzugsort, in dem Ideen wachsen.
Wenn er nicht malt, sucht
er Ausgleich im Sport, am liebsten im Fitnessstudio. Für ihn ist das Training ein Weg, den Kopf freizubekommen.
Sein Lebensrhythmus ist intensiv, leidenschaftlich, entschlossen und oft kompromisslos, doch immer ganz bei der
Sache. Die Kunst ist allerdings nicht das Einzige, was in seinem Leben eine große Rolle spielt. Während seine Partnerin Stefanie Hirschberg ihm den Rücken für seine künstlerische Entfaltung freihält, malt seine fünfjährige Tochter bereits begeistert mit und bringt ihre ganz eigenen Ideen aufs Papier. „Ich sehe ihr gern zu und unterstütze sie“, erzählt er lächelnd.
Ein weiteres, beinahe meditatives Element ist ein sorgfältig angelegtes Wasserbecken auf seinem Grundstück, in dem prächtige, bunte Koi-Karpfen ihre Bahnen ziehen. Ihre Bewegungen wirken wie flüssige Malerei. Auch hier zeigt sich sein Blick für Schönheit und die Kraft der Farben.
Kunst ohne Rampenlicht
Trotz seines Erfolges stellt sich Sylvio Justies nicht in den Mittelpunkt und braucht keine großen Worte. Seine Bilder sprechen für sich.
Wenn in Hohen Neuendorf spät in der Nacht noch Licht brennt, steht er vielleicht
wieder vor einer weißen
Leinwand. Dann beginnt das Spritzen, Tropfen und Rauschen von Neuem, bis wieder etwas entsteht, das bleibt.